ISO 14971:2019 – WAS IST NEU?

Medizinprodukte-Hersteller stehen aktuell stärker denn je in der Verantwortung, dass ihre Produkte und Geräte den versprochenen Nutzen bieten und keine unbeherrschbaren Risiken existieren. Für die Inverkehrbringung der Medizinprodukte sind Verordnungen, Gesetze und normative Standards einzuhalten, damit die Produkte für Patienten, Anwender und Dritte sicher sind.

Dazu ist die ISO 14971 einer der zentralen Normen für Hersteller von Medizinprodukten. Diese Norm regelt das Risikomanagement für Medizinprodukte und nach deren Vorgaben wird ein wirksames und nachhaltiges Risikomanagement durchgeführt, um potenzielle Risiken zu erkennen und zu beseitigen.

Im Dezember 2019 wurde die dritte Version der ISO 14971 veröffentlicht und bringt einige Änderungen mit sich, z. B. im Anwendungsbereich sowie neue Begrifflichkeiten.

Generell ist zu beachten: Die ISO 14971:2019 ist nicht harmonisiert. Änderungen zur Anpassung an die MDR können daher durchaus noch vorkommen.

Parallel ist auch der der Leitfaden ISO/TR 24971 überarbeitet worden und in diesen Bericht sind einige Anhänge der Ausgabe 14971:2019 verschoben worden, wodurch dieser Bericht nun an Bedeutung gewinnt. Die Veröffentlichung der ISO/TR 24971 in englischer Sprache erfolgte im Juni 2020.

Neuerungen & Änderungen ISO 14971:2019

Kapitelstruktur

Die Kapitelstruktur der ISO 14971:2019 hat sich geändert, in dem ein neues Kapitel 2 für die normativen Hinweise eingefügt wurde. Hier sind die Medizinprodukte-Hersteller angehalten, zu prüfen auf welche Weise und in welchem Umfang dadurch die unternehmensinterne Vorgehensweise im Risikomanagement-Prozess inklusive der Beschreibungen angepasst werden muss.

Anhänge

Zahlreiche Anhänge (C, D, F-H und J) wurden in die ISO/TR 24971 verschoben, welche bislang jedoch nicht veröffentlich ist. Anhang I wurde entfernt. Die Zusammenhänge zwischen Gefahr, Gefährdungssituation und Schaden sowie neuen Gefährdungen werden in Anhang C erläutert.

Begriffliche Änderungen und Neuerungen

Begriffe wurden neu eingeführt und bestehende Definitionen angepasst und schaffen größere Verbindlichkeit z. B.

Nutzen-Risiko-Analyse – Höhere Relevanz des Nutzens: Der positive, medizinische Einfluss bzw. das wünschenswerte medizinische Ergebnis, das die Gesundheit des Patienten, das Patientenmanagement oder die öffentliche Gesundheit betrifft, wird nun unter dem Begriff Nutzen berücksichtigt und damit stärker in den Fokus gerückt ( z .B. schnellere Verbesserung des Krankheitszustandes, Wiederherstellung der Gesundheit mit weniger Nebenwirkungen).
Stand der Technik – wird definiert als allgemein anerkannten technischen Stand für Prozesse, Produkte und Services, wobei man eher von den „Good Practices“ ausgeht und weniger von dem modern verbreitetsten Stand.
vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung – der Hersteller beschreibt eine fehlerhafte oder ungeeignete Anwendung des Medizinprodukts auf eine Art und Weise, die der Hersteller nicht beabsichtigt, die sich jedoch aus vorhersehbarem menschlichem Verhalten ergeben kann (DIN EN 82079-1).

Anwendungsbereich / Risikomanagementsystem

Der Anwendungsbereich wurde überarbeitet, indem zusätzlich zur Prozessbeschreibung nun auch Terminologie und Prinzipien genauer beleuchtet werden. Neben der Betrachtung von Medizinprodukten und in-vitro-Diagnostika umfasst die Norm nun auch Software als Medizinprodukte.
Mit der ISO 14971:2019 wird die Verantwortlichkeit der Personen im Risikomanagement stärker an den explizit bezeichneten Hersteller geknüpft und es werden die Qualifikationen der betreffenden Personen im Risikomanagement mit „Ausbildung“ und „Fähigkeit“ vertiefend gefordert (Bildung/Wissen, Ausbildung, Fähigkeiten und Erfahrung). Bei genauer Betrachtung wird ein Weg skizziert, der über die reine Prozess-Definition hinausgeht und die nachweisbare Umsetzung adressiert.

Für den Risikomanagementprozess wird außerdem gefordert, dass in der Betrachtung von möglichen Risiken Gefährdungssituationen identifiziert werden, um diese auf das ein akzeptables Niveau zu reduzieren, basierend auf den objektiven Kriterien in der Risikoakzeptanz, die der Medizinproduktehersteller definiert hat.
Sicherheitsbezogene Charakteristiken sind zu erfassen und der vernünftigerweise vorhersehbare Missbrauch ist zu bestimmen
Das Kapitel „Risikomanagement Bericht“ wurde umbenannt in „Überprüfung des Risikomanagements“ , um die Ergebnisse im Risikomanagement-Bericht darzustellen und zu dokumentieren.
Das Thema der Daten- und Systemsicherheit ist in dieser Norm-Ausgabe dezidiert aufgenommen worden, allerdings ohne spezifische Anforderungen zu beschreiben.

Sammeln und Überprüfen von Daten und Literatur / Post-Market-Surveillance

Die neue Norm-Ausgabe stellt die Betrachtungen und Bewertungen in den nach der Produktion nachgelagerten Phasen stärker in den Vordergrund und gleicht es an die Aktivitäten Post-Market-Surveillance an. Wie bereits in der MDR werden auch in der ISO 14971:2019 diese Anforderungen an Aktivitäten der Marktbeobachtung mit größerem Gewicht versehen. Der Fokus dieses Normaspekts verschiebt sich von der reinen Generierung von Informationen auf die konkreten Aktivitäten Sammeln, Bewerten von Informationen sowie dem Einleiten von Maßnahmen zur Mitigation. Hierbei sind neben dem Stand der Technik ebenfalls Informationen zu ähnlichen Produkten heranzuziehen.

Seitens des Medizinprodukteherstellers ist ein proaktives und systematisches System im Unternehmen des Medizinprodukthersteller zu etablieren. Die Informationen sind auf eine mögliche Sicherheits-Relevanz zu bewerten, um festzustellen, ob Gefährdungen vorliegen, die vorher nicht erkannt wurden, ob die Einschätzungen auf Wahrscheinlichkeit und Schweregrad des Schadens nicht weiter vertretbar sind oder die ursprünglichen Bewertungen aufgrund anderer Aspekte nicht mehr gelten können.

Wenn eines dieser Bedingungen erfüllt sind, müssen die Ergebnisse aus dem aktuellen Bewertungsprozess als Input in den Risikomanagementprozess zurückfließen. Sie bilden die Grundlage für entsprechende risikomindernde Maßnahmen für die auf dem Markt befindlichen Medizinprodukte. Die Umsetzung der Risikominderung ist nachweislich zu dokumentieren.

Risikoakzeptanzkriterien / Bewertung des Gesamtrestrisikos

Dem Hersteller ist es mit der neuen Normausgabe nun möglich zur Bewertung von Einzelrisiken andere Akzeptanzkriterien festlegen zu können als zur Bewertung des Gesamtrestrisikos. Somit können Akzeptanzkriterien für Einzelrisiken genutzt werden, um zu beurteilen, ob Maßnahmen zur Risikobeherrschung erforderlich sind und Akzeptanzkriterien für das Gesamtrestrisiko zur Entscheidung über das Inverkehrbringen eines Produkts genutzt werden. Ergänzend verpflichtet die Norm die Hersteller dazu, neben den bisherigen Festlegung von Methoden und Akzeptanz für einzelne Risiken sind nun auch Methoden zur Bewertung und Akzeptanzkriterien des Gesamtrestrisikos im Risikomanagementplan zu beschreiben. Während der Hersteller bislang entscheiden sollte, welche Informationen für die Begleitdokumente relevant sind, ist nun der Anwender explizit zu informieren.

Quintessenz:

Die dritte Version der ISO 14971 erfindet die Tätigkeiten und das Management von Risiken für Medizinprodukte-Hersteller nicht neu. Das Einhalten der normativen Anforderungen wird mit einigen Änderungen erweitert und spezifiziert, die dennoch mit Anpassungen im Risikomanagementprozess einhergehen. Somit bleibt das Risikomanagement für Medizinprodukte unverändert ein zentrales und immanent wichtiges Element in der Medical Branche.

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